01.10.2019 | Quelle: Katja Kerschgens

Wenn das Leben einen Plan B verlangt der sich als Plan A entpuppt

Wenn das Leben einen Plan B verlangt der sich als Plan A entpuppt
Wenn das Leben einen Plan B verlangt der sich als Plan A entpuppt
Katja Kerschgens erhält Standing Ovations nach ihrem Vortrag | © Gedankentanken

Manchmal ist es ganz erhellend, kurz zurückzuschauen. Nicht im Zorn, nicht mit dem Schicksal hadernd, sondern ganz neutral. Daraus können sich nämlich Erkenntnisse ergeben, die mindestens ein Schmunzeln erzeugen. Wenn man feststellt, dass es am Ende doch so kam wie erträumt.

So ist es mir oft ergangen – beim Wohnen, im Urlaub, im Job. Trotz der Tatsache, dass ich mittlerweile im Rollstuhl sitze. Oder besser: Gerade deswegen! Doch der Reihe nach:

Wohnen

Mein Mann und ich hatten ein altes Haus gekauft und kernsaniert. Gas, Wasser, Sch…, Strom – alles neu. Wände wurden versetzt, der Dachboden ausgebaut, aus alter Substanz ein kleines Schmuckstück gestaltet. Fünf Jahre wohnten wir darin.

Und genau in diesen fünf Jahren verschlechterte sich mein körperlicher Zustand rasant. Was in all den Jahren zuvor mit Taubheitsgefühlen und Wackelbeinen glimpflich abgelaufen war, zeigte jetzt die gesamte Bandbreite einer MS-Diagnose. Aus dem „35 Stufen vor dem Haus halten mich fit“ wurde ein „ich bleibe heute lieber daheim“.

Irgendwann war es überdeutlich: Meine Lebensqualität sank zunehmend. Schweren Herzens fällten wir die Entscheidung, das Haus zu verkaufen. Dass das nach der Investition einer Kernsanierung mit finanziellen Verlusten ablief, war leider absehbar.

Jetzt wohnen wir zur Miete. In einer barrierefreien Wohnung. Alles auf einer Ebene. Nagelneu. Top ausgestattet. Und der Blick von unserer Terrasse – unbezahlbar!

Was sich wie ein Plan B anfühlte, entpuppte sich als Plan A – frei von Belastungen jedweder Art, ein wunderbares Lebensgefühl. Und wie gesagt: Dieser Blick…

Blick von der Terrasse in die Eifel

Blick von der Terrasse in die Eifel - © Katja Kerschgens
Blick von der Terrasse in die Eifel | © Katja Kerschgens

Urlaub

Zu der Zeit, als klar war, dass ich immer mehr auf den Rollstuhl angewiesen bin, sind wir zur RehaCare nach Düsseldorf gefahren. Wir wollten uns einen Überblick verschaffen, was der Markt an Hilfsmitteln bietet. Dort entdeckten wir zufällig einen Stand für Urlaube im Hausboot, geeignet für Rollifahrer. Das wirkte ungemein verlockend. Um es kurz zu machen: Es war großartig! Dieses Gefühl, überall hin schippern zu können, irgendwo auf dem Wasser zu übernachten, den Tag frei zu gestalten – genial!

Eigentlich hatte ich diesen Wunsch schon lange gehabt. Aber wie das so ist im Leben: Aus dem „Irgendwann mal…“ wird ein Nie. Mit Rolli schien es ohnehin undenkbar… tja, denkste! Gerade dadurch wurde ich mit der Nase drauf gestoßen und habe das umgesetzt, was mir schon lange im Unterbewusstsein herumgegeistert war.

…und habe zudem zum ersten Mal einen Eisvogel gesehen. Abends, auf der Hausbootterrasse am offenen Feuer sitzend… ein Traum!

Job

Als Rhetoriktrainerin habe ich regelmäßig Seminare gegeben – was mit viel Reiserei und Materialtransport verbunden ist. Da kommen über die Jahre eine Menge Hotelzimmer zusammen. Mein Traum seit Beginn meiner Selbstständigkeit in 2001 war immer, dass ich irgendwann nur noch Vorträge halte und exklusive Einzelcoachings anbiete. Aber wie sollte ich das jemals erreichen?

Und dann erreichte es mich: Mein Thema änderte sich, und plötzlich werden die Bühnen größer und Kunden kommen zu mir statt umgekehrt. Weniger wegen des Rollis, sondern wegen meines Umgangs mit der neuen Lebenssituation.

Denn das ist mein Credo: „Ich bin nicht krank. Ich habe eine Krankheit. Ob sie mich hat, ist noch nicht entschieden!“

Ich bin schon ganz neugierig, welcher Plan B sich als nächstes als Plan A outen wird!

Vortrag bei der Stuttgarter Rednernacht von Gedankentanken - Katja Kerschgens auf der Bühne - © Gedankentanken
Katja Kerschgens auf der Bühne | © Gedankentanken

Zur Person

Katja Kerschgens hat sich als „Die Redenstrafferin“ einen Namen als Rhetoriktrainerin und -coach gemacht. Seit einem Vierteljahrhundert lebt sie mit der Diagnose MS (Multiple Sklerose). Ihr eigener Lebensweg inspirierte sie zu ihrer ergänzenden Tätigkeit als PlanBMentorin. Sie studierte Germanistik und wohnt mit ihrem Mann in der Hocheifel. Als Autorin veröffentlicht sie regelmäßig Bücher in unterschiedlichsten Genres.

Katja Kerschgens - © Katja Kerschgens
© Katja Kerschgens