06.12.2019 | Quelle: Marita Boos-Waidosch

Wie wird ein Weihnachtsmarkt barrierefrei?

Lichterglanz und winterliche Genüsse auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt
Lichterglanz und winterliche Genüsse auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt
Abendlicher Blick auf den Weihnachtsmarkt mit großer Weihnachtspyramide und Dom | © Landeshauptstadt Mainz

Ein Interview mit Marita Boos-Waidosch, langjährige Behindertenbeauftragte der Stadt Mainz

Weihnachtsshopping und gesellige Glühweinrunde: Weihnachtsmärkte sind für viele Menschen das absolute Highlight am Jahresende.

Dabei gibt es insbesondere für Menschen mit Mobilitätseinschränkung, Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen, die ein oder andere Hürde zu überwinden. Als Behindertenbeauftragte von Mainz hat sich Marita Boos-Waidosch bereits vor 15 Jahren zum Ziel gesetzt, den Mainzer Weihnachtsmarkt am Dom barrierefrei und für alle zugänglich und komfortabel zu machen. Im Interview berichtet sie, wie ein Weihnachtsmarkt barrierefrei wird.

BE: Wie sind Sie dazu gekommen, den Weihnachtsmarkt barrierefrei zu machen?

Boos-Waidosch: Für mich ist Barrierefreiheit in allen Lebenslagen wichtig. In Mainz haben die Feste eine besondere Bedeutung – denn es wird bei uns sehr gerne gefeiert. Der Weihnachtsmarkt ist das längste Fest im Jahr. Da liegt es ganz nahe, dass wir den Weihnachtsmarkt für alle zugänglich machen.

Die berühmte Mainzer Geselligkeit bei Glühwein - In Mainz wird gerne gefeiert - und das auch zur Weihnachtszeit - © Landeshauptstadt Mainz
In Mainz wird gerne gefeiert - und das auch zur Weihnachtszeit | © Landeshauptstadt Mainz

Eine Krippe für Alle

BE: Was war für sie der erste bzw. der wichtigste Schritt bei der Umgestaltung des Weihnachtsmarkts?

Boos-Waidosch: Für mich war die Zugänglichkeit und Erfahrbarkeit der lebendgroßen Weihnachtskrippe besonders wichtig. Davon habe ich schon vor 25 Jahren geträumt und das war auch eine der ersten Maßnahmen, die umgesetzt wurde. Früher war sie leider nur über mehrere Stufen erreichbar. Heute können Rollstuhlfahrer bis direkt an die Krippe. Übrigens nicht nur Rollstuhlfahrer: Es freut mich ganz besonders, dass die Krippe auch mit Kinderwagen erreichbar ist und gerne von Familien mit kleinen Kindern besucht wird. So haben alle etwas von der Barrierefreiheit. Für blinde Menschen ist die Krippe auch besser erreichbar. Sie können die Krippenfiguren bei einer Führung erfühlen und ertasten. Ist das nicht toll? So ein Umbau geht übrigens nicht von heute auf morgen. Wir haben 2-3 Jahre gebraucht, bis die Krippe so war wie wir uns das vorgestellt haben.

Jeder soll die Weihnachtskrippe besuchen können - Die Krippe mit lebendgroßen Figuren aus Holz - © Landeshauptstadt Mainz
Die Krippe mit lebendgroßen Figuren aus Holz | © Landeshauptstadt Mainz

Eine Vielzahl von Maßnahmen zur Erhöhung der Barrierfreiheit

BE: Was muss alles bedacht werden wenn ein Weihnachtsmarkt barrierefrei werden soll?

Boos-Waidosch: Ganz grundsätzlich die Infrastruktur wie Kabelbrücken, barrierefreie Toiletten und Parkplätze wichtig, sowie eine intelligente Wegeführung und die Sensibilisierung derer, die eigene Weihnachtsmarkt gestalten. Erst wenn die Basis stimmt und die Grundvoraussetzungen erfüllt sind, dass jemand mit Rollstuhl überhaupt kommen kann, kann man sich darüber Gedanken machen wie es hübsch wird.

 

BE: Was ist – Stand 2019 – in Mainz alles barrierefrei?

Boos-Waidosch: Es gibt einen Rundweg ohne Kabelbrücken. Dort wo Kabelbrücken notwendig sind, sind sie breiter als früher üblich und haben eine Steigung von maximal 2%. Einige der Buden sind barrierefrei und mit Rollstuhl befahrbar. Daneben haben eine Vielzahl der Gastronomiebetriebe abgesenkte Tische bzw. Klapptische, die auch für Rollstuhlfahrer geeignet sind. Im Fassdorf treffen sich viele für einen gemütlichen Abend mit Freunden oder es wird mit Kollegen gefeiert. Der Bereich ist ebenfalls zugänglich und zwei der Fässer sind berollbar. Natürlich sind rund um den Weihnachtsmarkt auch barrierefreie Toiletten vorhanden. Manche Betriebe haben sogar Speisekarten in Brailleschrift für blinde Menschen. An den Ständen gibt es Hinweissignets falls sie etwas zur Barrierefreiheit gemacht haben. Auf dem Übersichtsplan des Weihnachtsmarkts gibt es darüber hinaus Hinweise zur Barrierefreiheit des Marktes und der Stände. So kann man sich auch schon vorab informieren was einen vor Ort erwartet.

Auch in diesem Jahr gab es Verbesserungen an der Barrierefreiheit - Weihnachtsmarkt und historische Markthäuser bei Abenddämmerung - © Landeshauptstadt Mainz
Weihnachtsmarkt und historische Markthäuser bei Abenddämmerung | © Landeshauptstadt Mainz

Infrastruktur und intelligente Wegeführung

BE: Sie haben berichtet, dass sich beim Weihnachtsmarkt ständig etwas verändert und optimiert wird. Was ist in Mainz in 2019 neu?

Boos-Waidosch: Im diesem Jahr wurden auf dem Marktplatz unterirdisch Kabel verlegt und an mehreren Stellen Stromzugänge geschaffen. So wurde die Zahl an Stromkabeln auf dem Weihnachtsmarktgelände stark verringert. Es gibt sogar einen Rundgang ganz ohne Kabelbrücken. Außerdem gab es zum ersten mal bei der Eröffnung einen Gebärdensprachdolmetscher, der alle Reden übersetzt. So haben wir auch ein Angebot für Gehörlose.  

 

BE: Was war für Sie bei der Entwicklung des Weihnachtsmarkts besonders beeindruckend?

Boos-Waidosch: Ich hätte nie gedacht, dass man durch intelligente Wegeführung so viel optimieren kann ohne den Charakter eines Marktes zu verändern. Wenn man weiß, welche Stände besonders beliebt sind und wo viele Menschen stehen bleiben, kann man die Stände so positionieren, dass die Menschen sich insgesamt gut verteilen. So kann vieles entzerrt werden damit auch bei hoher Besucherzahl Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Kinderwagen gut von A nach B kommen.

 

BE: Als ich im Vorfeld jemandem vom Interview mit Ihnen berichtet habe, war die Reaktion „die ist klasse! Marita ist auf so eine liebenswerte Art beharrlich und hat eine unglaublich pragmatische Art, Probleme zu lösen“. Ein tolles Lob, oder?

Boos-Waidosch: Das freut mich wirklich zu hören! Barrierefreiheit ist nichts, was man von heute auf morgen umsetzen kann. Wer etwas erreichen will, darf nicht nur die DIN-Norm als Maßstab anlegen – sondern im Blick haben, was man mit wenig Aufwand verbessern kann. Wenn man immer wieder etwas anderes verbessert, kommt man auch irgendwann zum Ziel ohne die Beteiligten zu überfordern. Und so kann Barrierfreiheit dann auch Spaß machen. Den Spaß darf man nie aus den Augen verlieren.

Der Marktplatz in Mainz - Marita Boos-Waidosch und Karina von Keitz unterwegs auf dem Gelände des Weihnachtsmarkts - vor dem Aufbau der Buden - © mainzplus CITYMARKETING GmbH
Marita Boos-Waidosch und Karina von Keitz unterwegs auf dem Gelände des Weihnachtsmarkts - vor dem Aufbau der Buden | © mainzplus CITYMARKETING GmbH

Überzeugungsarbeit bei den Betrieben

BE: Wie überzeugen Sie Betreiber von Ständen, sich ebenfalls mit Barrierefreiheit zu beschäftigen? Gibt’s neben der Beharrlichkeit weitere Tricks?

Boos-Waidosch: Ich habe den großen Vorteil, dass es mittlerweile viele Multiplikatoren gibt, die die Barrierefreiheit im Blick haben und andere darauf hinweisen, was sie alles verbessern können. Der Marktmeister des Weihnachtsmarkts von Mainz ist seit vielen Jahren ein großer Unterstützer. Ohne seine Beharrlichkeit, sein Ideenreichtum und seine Hartnäckigkeit im positiven Sinn hätten wir sicherlich nicht so viel erreicht. Und ohne Multiplikatoren wie ihn könnten wir bei der Barrierefreiheit nur einen Bruchteil umsetzen. Darum ist die Sensibilisierung der Menschen in Schlüsselpositionen so immens wichtig. Daneben beobachte ich eine Art Wettbewerb unter den Betrieben. Jemand macht etwas wie z.B. einen Klapptisch für Rollstuhlfahrer, Kollegen sehen es, machen es auch weil sie es gut finden und setzen vielleicht noch einen drauf.

BE: Herzlichen Dank für den interessanten Einblick. Wir wünschen Ihnen eine genussvolle Vorweihnachtszeit!

Weihnachtsliche Genüsse für Alle - Immer mehr Betrieber bieten Lösungen für Menschen mit Rollstuhl und blinde Menschen - © mainzplus CITYMARKETING GmbH
Immer mehr Betrieber bieten Lösungen für Menschen mit Rollstuhl und blinde Menschen | © mainzplus CITYMARKETING GmbH